Landtagspräsident erinnert an den 9. November 1989: Fall der Berliner Mauer als nationales Ur-Erlebnis begreifen

An den Fall der Berliner Mauer vor 20 Jahren hat Landtagspräsident Peter Straub zu Beginn der Plenarsitzung am Donnerstag, 5. November 2009, erinnert. „Entscheidend ist, dass wir den Fall der Mauer als nationales Ur-Erlebnis begreifen, das zeigt:


Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand – so wie wir dies im Lied der Deutschen zum Ausdruck bringen“, sagte der Präsident. Im Einzelnen führte Straub aus:

>>Nächsten Montag jährt sich zum 20. Mal der Fall der Berliner Mauer. Lassen Sie uns einen Moment innehalten im Gedenken an dieses epochale Ereignis. Berlin, am Abend des 9. November 1989 – das hieß: Die Realität überholte das Vorstellbare. Ein nicht endender Strom erlöster Landsleute drängte – an verwirrten DDR-Grenzbeamten vorbei – durch die Übergangsstellen. Und die Mauer – Inbegriff der Unterdrückung – mutierte zur euphorisch bestiegenen Kletterwand. Das Streben nach Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit triumphierte. Buchstäblich „überwältigend“. Und dennoch friedlich. Der Höhepunkt eines atemberaubenden Herbstes! Eines Herbstes, in dem Menschen binnen Wochen auf imponierende Weise das Joch der Unfreiheit abschüttelten und sich beherzt des SED-Regimes entledigten.
Das Öffnen des Eisernen Vorhangs durch die ungarische Regierung am 11. September, die Ausreise der Prager Botschaftsflüchtlinge am 30. September und vor allem die große Montagsdemonstration in Leipzig am 9. Oktober leiteten die Wende ein. Die Entschlossenheit, die Zivilcourage, der Veränderungswille der ostdeutschen Bevölkerung trieb die kommunistischen Machthaber in die Enge und brachte eine 40 Jahre lang allgewaltige Diktatur zum Einsturz.
„Wir sind das Volk“, später „Wir sind ein Volk“ und „Deutschland einig Vaterland“ – diese Rufe waren Motor und Kompass einer beispiellosen Bürgerbewegung. Unsere Hochachtung gilt deshalb zuallererst dem kraftvollen Mut der Demonstranten auf den Straßen in Leipzig, Berlin, Plauen, Dresden und vielen anderen Städten der DDR. Ebenso gilt unsere Hochachtung der Furchtlosigkeit und dem Durchhaltevermögen der Bürgerrechtler, Oppositionellen und kirchlichen Gruppen. Ihre Leistungen – und ihre Leiden – waren die Keimzellen des Aufbruchs. Was sie erreicht haben, das haben sie für uns alle erreicht: Sie haben für uns alle die Basis geschaffen, auf der wir die Teilung überwinden konnten!
Das Unrechtsregime gewaltfrei zu stürzen, gelang, weil die anfänglich zu allem bereite DDR-Führung aus Moskau keine Rückendeckung bekam. Das war namentlich dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow zu verdanken. Er hatte die Zeichen der Zeit erkannt – und er akzeptierte sie. Nicht weniger Respekt gebührt dem amerikanischen Präsidenten George Bush senior. Die USA begleiteten den Weg von der Wende bis zur Wiedervereinigung besonders freundschaftlich, vertrauensvoll und konstruktiv.
Der 9. November 1989 nahm der innerdeutschen Grenze ihren Schrecken. Schießbefehl, Minenfelder und Selbstschussanlagen hatten über 1000 Menschen das Leben gekostet. Unser Erinnern schließt die Toten an Mauer und Stacheldraht ein – und alle, die das Scheitern ihres Fluchtversuchs überlebten und in den berüchtigten DDR-Gefängnissen eingekerkert wurden. Der SED-Staat erodierte im Herbst 1989 mit einer ungeheuren Dynamik. Ein Treibsatz war, dass unser Grundgesetz die Bewohner der DDR als Bundesbürger betrachtete. Wiedervereinigung – diese Perspektive wäre kaum zu einem derart starken Sog geworden, wenn die Bundesrepublik in den Siebziger- und Achtzigerjahren eine DDR-Staatsbürgerschaft anerkannt hätte.
Der 9. November 1989 widerlegte alle, die sich die Parole zu eigen gemacht hatten, die Teilung Deutschlands sei die Grundbedingung für Frieden und Stabilität auf unserem Kontinent. Bestätigt wurden jene, die gegen den Zeitgeist und in einem richtig verstandenen Patriotismus unverrückbar festgehalten hatten an der Einheit der Nation und am Ziel der Wiedervereinigung. Ein Name steht dafür exemplarisch: Helmut Kohl! Nach dem 9. November 1989 sah Bundeskanzler Helmut Kohl schneller als andere die historische Chance, die sich auftat. Und er nutzte sie versiert und beseelt – wobei ein wesentlicher Teil seiner historischen Leistung war, dass er stets die europäische Dimension betonte.
Mit dem Fall der Mauer begann eine politische und volkswirtschaftliche Aufgabe, für die keine Vorbilder und keine wissenschaftlichen Rezepte existierten. Wir Deutschen mussten nicht bloß im Materiellen Schweres schultern und Herausragendes vollbringen. Ich meine, das ist uns gelungen. Allerdings dürfen wir nicht leugnen, dass es in Ostdeutschland noch Defizite und negative Entwicklungen gibt. So schmerzen das Gefälle bei den ökonomischen Kennziffern und das Abwandern der Bevölkerung. Zugleich sollten wir aber auch nicht verschweigen: Einheit bedeutet auch immer wieder ein neues Austarieren und gelegentliches Neujustieren. Entscheidend ist und bleibt deshalb, dass wir den Fall der Berliner Mauer als nationales Ur-Erlebnis begreifen, das zeigt: Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand – so wie wir dies im Lied der Deutschen zum Ausdruck bringen.<<

Quelle: CDU-Landtagsfraktion BW

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