Auf dem Verkehrsfriedhof… (Beitrag für das Stadtblatt)

Dichter Nebel drückt sich langsam auf den Heidelberger Verkehrsfriedhof, der Vollmond schimmert fahl über längst vergessene Gräber, deren Inschriften für die meisten unverständlich anmuten.


Dunkle Gestalten heben keuchend die Grube für einen Sarg aus. Der Atemdunst lässt im Mondschein ihre Anstrengung erkennen, denn sie wollen in aller Heimlichkeit dort die fünfte Neckarbrücke verschwinden lassen – ein für alle Mal.

Heimlich müssen sie es tun, denn der Gemeinderat hat die Neckarbrücke keinesfalls beerdigt, auch wenn in der Leserbriefspalte der Rhein-Neckar-Zeitung von SPD und GAL ein anderer Eindruck verbreitet wird. Sie meinen, der Neckarquerung den Todesstoß versetzt zu haben. Im Stadtblatt der vergangenen Woche brachte es Christian Weiss auf den Punkt: „Die UVP (Umweltverträglichkeitsprüfung) wird das endgültige Aus für die Neckarquerung bedeuten.“ (siehe „Stimmen aus dem Gemeinderat“ Ausgabe Nr. 16)

Na, wenn er sich da mal nicht irrt. Denn auch bei schützenswerten Gütern gibt es eine Güterabwägung. Sollte dabei offenbar werden, dass der „kleine Nordzubringer“ und der „Radieschentunnel“ sowohl im Bau als auch „im Betrieb“ der Umwelt deutlich mehr Schaden zufügen werden, als der Schatten einer Brücke über einem schmalen Streifen Naturschutzgebiet, dann rückt die Brücke deutlich näher – nicht erst in einigen Jahren.

Für die Universität, das Klinikum und die Forschungseinrichtungen im Neuenheimer Feld ist das Ergebnis der Gemeinderatssitzung vom 9. April eine schallende Ohrfeige. In anderen Städte bekommen solche Einrichtungen den roten Teppich ausgerollt, in Heidelberg klappt die Mehrheit der Gemeinderäte den Bürgersteig hoch. Der von Oberbürgermeisterin Beate Weber vorgelegte „kleine Nordzubringer“ lässt sich eher als „großer Nord-Aufbringer“ bezeichnen. Als erfahrene Kommunalpolitikerin musste sie wissen, dass im Handschuhsheimer Feld mit erheblichem Widerstand zu rechnen ist und sie weder auf SPD noch auf die GAL zählen kann. Wer also soll den OB-Vorschlag durchsetzen? Die Stimmen der Freien Wähler und der FDP werden dazu nicht reichen.

Richtig ist: Die „neue Mehrheit“ aus dem Jahr 1999 hat es nicht geschafft, die fünfte Neckarbrücke zeitgleich mit dem Burelli-Tunnel durchzusetzen – unter anderem, weil mit Kristina Essig und Klaus Pflüger zwei Räte aus der eigenen Fraktion sich dem entzogen haben. Zur Erinnerung: Im Haushalt 2003 hat der Gemeinderat noch eine Priorität für die Neckarquerung eingestellt, jetzt sollen alle Mittel für den Burelli-Tunnel verbraucht werden.

Richtig ist: Eben diese Mehrheit aus SPD, GAL, PDS, FWV und den zwei Räten der CDU ist bereit, mindestens 84 Millionen Euro in ein Verkehrsprojekt zu investieren, das oberirdisch ganze drei Kreuzungen in Bergheim entlasten und sich zu einem unterirdischen Parkhaus der Extraklasse entwickeln wird. Klar, dass die GAL solche Maßnahmen für den Individualverkehr unterstützt. Denn es wird den Menschen nichts nützen, die ins Neuenheimer Feld fahren müssen. Sie werden im Tunnel ebenso lang stehen, wie vorher in der Mittermaierstraße. Unter diesem Druck werden sie dann bereit sein, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, so die Erwartung.

Richtig ist aber auch: Die Neckarbrücke wird in zwei Varianten in eine Umweltverträglichkeitsprüfung gehen. Sie kostet etwa ein Viertel dessen, was der Burelli-Tunnel verschlingen würde und entlastet Bergheim, Wieblingen, Neuenheim und Handschuhsheim vom Verkehr, wenn sie richtig angelegt ist.

Nun wird erst einmal der RE-Entwurf für den Burelli-Tunnel erarbeitet – und der wird sicher noch weitere finanzielle Überraschungen aufwerfen. Wenn dann die 100-Millionen-Euro-Schallmauer in greifbare Nähe rückt, beginnt vielleicht doch wieder das Nachdenken. Am Ende werfen die dunklen Gestalten in die ausgehobene Grube einen ganz anderen Sarg. Kein Mensch wird sich in zwanzig Jahren mehr an all das erinnern wollen…

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